Selektiver Mutismus - Was ist das?
Der selektive Mutismus ist als Angststörung definiert und beschreibt das dauerhafte Unvermögen, in bestimmten Situationen zu sprechen. Das kann z.B. bedeuten, dass ein Kind zu Hause mit den Eltern normal sprechen kann, aber in anderen Situationen (zum Beispiel in der Kita) ist das Sprechen gar nicht möglich. Ob ein Kind in einer Situation spricht oder nicht, hängt von den beteiligten Personen, dem Ort und den Aktivitäten ab. Der selektive Mutismus hat Auswirkungen auf das gesamte Sozialleben der Kinder. Für sie ist es schwieriger oder unmöglich, in der Kita oder in der Schule Freunde zu finden und auch die Leistungen in der Schule können darunter leiden. Der selektive Mutismus beginnt häufig sehr früh, im Alter von 2 bis 4 Jahren. Ungefähr 0,7% der Kinder sind davon betroffen.
Was ist es nicht?
Der selektive Mutismus ist nicht zu verwechseln mit genereller Schüchternheit. Es bedeutet auch nicht, dass das Kind nicht sprechen will, sondern dass es in den Situationen nicht sprechen kann. Die Störung wächst sich nicht von alleine aus. Außerdem sollte man selektiven Mutismus nicht mit Autismus, einer Sozialphobie oder einer kognitiven Einschränkung verwechseln. Trotzdem ist es möglich, dass neben dem selektiven Mutismus noch andere Probleme auftreten, am häufigsten sind dabei eine Sozialphobie oder eine Sprachentwicklungsstörung.
Wie entsteht selektiver Mutismus?
Es handelt sich um ein Zusammenspiel zwischen Anlage und Umwelt. Anlage bedeutet, dass eine genetische Veranlagung für selektiven Mutismus besteht. Zur Umwelt gehören die Familie und das Umfeld des Kindes. Generell kann man sagen, dass das Nichtsprechen häufig eine „Lösung“ für ein anderes bestehendes Problem ist. Es hat sich herausgestellt, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, ein höheres Risiko für selektiven Mutismus haben. Gründe dafür könnten die Unsicherheit beim Erlernen einer zweiten Sprache oder soziale Ängste sein.
Die Rolle der Eltern
Häufig möchten Bezugspersonen dem Kind helfen, indem sie ihm z.B. in unangenehmen Situationen das Sprechen abnehmen oder sie versuchen die Gedanken des Kindes zu lesen und sagen Anderen, dass sie das Kind lieber nicht ansprechen sollen. Diese „Hilfen“ erhalten die Probleme allerdings eher, als dass sie helfen. Stattdessen sollten Sie eher versuchen, dem Kind Schritt für Schritt mehr Gelegenheiten zum Sprechen zu stellen. Das ist auch Bestandteil von verschiedenen Therapieansätzen.
Anzeichen und Diagnostik
Selektiver Mutismus wird seit 2019 als eigenständige Angststörung geführt.
Die Symptome für Mutismus sind nach ICD-10 codiert (F94.0, Link).
Anzeichen für einen selektiven Mutismus können verschieden aussehen: Das Kind spricht nur noch zu Hause, das Kind lässt andere für sich sprechen und es treten auch nonverbale Anzeichen (z.B. erstarrte Mimik oder Körpersprache) auf. Wenn diese Symptome länger als vier Wochen anhalten, sollten Sie zum Kinderarzt gehen oder sich von einem Logopäden beraten lassen. Eine Diagnostik beim Verdacht auf selektiven Mutismus findet teilweise ohne das Kind (Fragen an die Eltern zur Sprachentwicklung oder zur familiären Situation) und mit dem Kind statt. Die Interaktion zwischen den Eltern und dem Kind wird angeschaut und der Umgang des Kindes mit einer fremden Person.
Behandlung von Mutismus
Nach einer eingehenden und umfassenden Diagnostik wird behutsam Kontakt mit dem/der* Betroffenen aufgenommen. In vielen Fällen hat sich die Kontaktaufnahme über Humor und Leichtigkeit bewährt.
Insbesondere zu Beginn der Therapie sollte nicht zu viel gefordert werden, damit sich die Patientin/ der Patient nicht unter Druck gesetzt fühlt. Es gilt vorerst die nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten zu fördern, um dann immer komplexer werdende Satzstrukturen zu erarbeiten. Daneben spielt die Stärkung der eigenen Identität, aber auch die Arbeit mit allen beteiligten Systemen (Familie, Schule, Verein…) eine wichtige Rolle.
Wenn früh mit einer Therapie begonnen wird, gibt es eine gute Chance, den selektiven Mutismus zu überwinden. Es gibt verschiedene Therapieformen und -ansätze, zum Beispiel Spieltherapie, Familientherapie oder Verhaltenstherapie. Es geht unter Anderem darum, Gelegenheiten zu schaffen, in denen das Kind das mutige Sprechen üben kann. Es wird Schritt für Schritt der Schwierigkeitsgrad erhöht und nonverbales Verhalten wird nach und nach abgebaut. Die Eltern werden oft aktiv in die Therapie eingebunden.
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